„Auch mir ist manchmal danach zu Mute, die Waffen zu strecken. Aber, allen Gewalten zum Trotz! [...] Ich werde versuchen, mich nicht mit Träumen zufrieden zu geben, mit Schöngeistigkeit und noblen Gesten. [...]"
(aus einem Brief an Fritz Hartnagel: 17. Juni 1940)
Zwischen 1934 und 1944 fanden im Deutschen Reich 11 900 Hinrichtungen statt. Nicht mitgezählt: Urteile des Militärgerichts, SS-Morde und antisemitische Massentötungen. Unter den Toten, die diese Zahl birgt, waren knapp 1100 Frauen. Viele unbekannt oder vergessen. Eine dieser Frauen war die 21-jährige Sophie Scholl.
Sophie wuchs mit vier Geschwistern in einer christlichen Familie zunächst im schwäbischen Forchtenberg, später in Ludwigsburg und Ulm auf. Am liebsten war sie in der Natur, zu den Bergen hatte sie eine besondere Zuneigung. Sie zeichnete (Paula Modersohn-Becker hatte es ihr angetan), musizierte, mit ihrem nachdenklichen Wesen war sie zugleich wach und empfindsam. Schon früh war sie mit einem sensiblen Gerechtigkeitssinn ausgestattet. Ihre anfängliche Begeisterung für die Jugendorganisationen der Nazis wich bald Skepsis und Unverständnis für deren übersteigertes Gemeinschaftsideal und die inkonsistenten Argumentationsmuster, mit denen sie den Nationalsozialismus rechtfertigten. So wurde die einstige BDM-Gruppenführerin wegen „Untreue und unbotmäßiger Äußerungen" 1938 degradiert. Auch, weil sie Heinrich Heine als lesenswerten Schriftsteller verteidigte: „Wer Heinrich Heine nicht kennt, kennt die deutsche Literatur nicht." Im Frühherbst 1937 begegnete Sophie dem jungen Leutnant Fritz Hartnagel beim Tanztee ihrer Schulfreundin Annelies Kammerer. Die Beiden wurden ein Paar. Nach dem aufgezwungenen Arbeits- und Kriegshilfsdienst in Krauchenwies bei Sigmaringen, für den sie nur Abscheu übrig hatte, durfte sie im Mai 1942 endlich nach München zum Studium der Biologie und Philosophie. Ihr Bruder Hans Scholl studierte hier bereits Medizin.
Wie Fritz Hartnagel später bestätigte, war Sophie Scholl in ihrer Partnerschaft bei politischen Themen stets die Tonangebende. Seit Beginn des Krieges war sie im Geheimen Hitlers Gegnerin. Sie verweigerte sich im Winter 1941/42 dem Aufruf, den deutschen Truppen vor Moskau wärmende Kleidung zu schicken, um den Krieg nicht unnötig zu verlängern. Für die junge Frau gab es nur eine Lösung, damit das Unrechtsregime ein Ende fand: die militärische Niederlage.
Insgesamt sechs Flugblätter hatten die Widerständler verfasst und verteilt - pausenlos der nagenden Angst vor Entdeckung und Verrat ausgesetzt. Mit ihrem kompromisslosen, aufwühlenden Gestus, dem intellektuellen Gehalt, der von großer Reife und Kenntnis zeugt, sind diese Flugschriften bemerkenswerte Manifeste für die Zukunft. In ihnen trifft man auf Zitate von Dichtern und Denkern wie Schiller oder Aristoteles, klare Stellungnahmen gegen Militarismus, Hass und Totalitarismus und das Eintreten für eine demokratische, vom humanistischen Menschenbild geprägte Alternative.
Am Vormittag des 18. Februar 1943 machten sich Hans und Sophie Scholl auf den Weg zur Universität. Die Zeit zwischen zwei Vorlesungen wollten sie nutzen, um unbeobachtet das sechste Flugblatt unter die Studentenschaft zu bringen. Über tausend Vervielfältigungen ihres Aufrufs legten sie vor den Hörsälen aus, einige ließen sie von den Balustraden in den Lichthof fallen. Vom Hausmeister wurden sie dabei entdeckt und an die Gestapo übergeben. Sophies Verhör bei Robert Mohr glich einem Duell. Mohrs stumpfsinnigem Beharren auf das Gesetz entgegnete sie mit einer Bestandsaufnahme ihres Gewissens, die ihm imponierte. Sophie erklärte: „Ich würde es genauso wieder machen, denn nicht ich, sondern sie haben die falsche Weltanschauung."
Im Zuge eines Schauprozesses unter der Leitung des gefürchteten, extra aus Berlin angereisten Roland Freisler wurden die Geschwister gemeinsam mit Christoph Probst wegen Landesverrats, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung am 22. Februar zum Tode verurteilt und noch am selben Tag enthauptet.
Sophie Scholl wollte „nicht zurücksinken ins Wohlbehagen, in Herdenwärme, ins Spießbürgertum." Der Ausspruch Jacques Maritains: „Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben.", zog sich als Motto durch ihr kurzes Leben. Aus Leidenschaft zu diesem und aus moralischer Verzweiflung entsprang ihr ziviler Widerstand, der gleichzeitig ihr Vermächtnis ist.
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Bilder:
Forchtenberg, Rathaus; Geburtshaus von Sophie Scholl, Fotograf: Rudolf Stricker
1940: Brief von Sophie Scholl an einen Freund, Fotograf: Adam Jones, Ph.D.
Quellen: